Lukas 21,25–33 – Hoffnung gibt festen Halt
Bibeltext (BasisBibel)
25»Zeichen werden zu sehen sein an der Sonne, dem Mond und den Sternen. Auf der Erde werden die Völker zittern. Sie werden weder aus noch ein wissen vor dem tosenden Meer und seinen Wellen.26Die Menschen werden vor Angst vergehen. Sie warten auf die Ereignisse, die über die ganze Welt hereinbrechen werden. Denn sogar die Mächte des Himmels werden erschüttert werden.27Dann werden alle es sehen: Der Menschensohn kommt auf einer Wolke mit großer Macht und Herrlichkeit.28Aber ihr sollt euch aufrichten und euren Kopf heben, wenn das alles beginnt: Eure Erlösung kommt bald!«
29Dann erzählte Jesus den Leuten ein Gleichnis: »Schaut euch doch den Feigenbaum an oder all die anderen Bäume.30Wenn ihr seht, dass sie Blätter bekommen, dann wisst ihr: Der Sommer ist bald da.31So ist es auch mit euch: Wenn ihr seht, dass das alles geschieht, dann wisst ihr: Das Reich Gottes ist nahe.32Amen, das sage ich euch: Diese Generation wird nicht sterben, bevor dies alles geschieht.33Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.«
Predigt
Die Menschen werden vor Angst vergehen, sagt Jesus. Im direkten Kontrast dazu steht seine Aussage: Meine Worte werden nicht vergehen.
Wir sind es gewohnt, dass die Sonne jeden Morgen aufgeht. Wenn die Sonne eines Morgens nicht mehr aufgehen würde, würde uns dies wahrscheinlich Sorgen machen. Schließlich konnten wir uns bisher immer auf die Sonne verlassen!
Wenn wir weiter überlegen, gibt es doch recht viele Dinge in unserem Leben, auf die wir uns verlassen. Wir verlassen uns auf die Versorgung mit Wasser, Strom und einer Verbindung zum Internet. Wir gehen einkaufen, und verlassen uns darauf, dass wir finden, was wir brauchen. Gewohnheiten bilden das Fundament unseres Alltags. Wir bauen darauf, dass alles in gewohnten Bahnen läuft.
Was Jesus in Vers 25 aufzählt, rüttelt an unserem Fundament. Der Meeresspiegel steigt. An manchen Orten gibt es extreme Trockenheit, während andere sich mit ungewohnten Wassermassen herumschlagen. Menschen diskutieren: Verändert sich hier etwas grundlegend? Oder bleibt doch noch alles im Rahmen?
Wahrscheinlich ist es gerade die Unsicherheit, die vielen Menschen Angst macht. Menschen warten auf Ereignisse, aber sie wissen nicht, was genau kommen wird. Bleibt uns der Friede erhalten? Wird meine Arbeit in Zukunft von einer künstlichen Intelligenz übernommen? Wie entwickelt sich die Diskussion um die Rente? Vieles wissen wir einfach nicht. Alles ist in Bewegung.
Nun hat es unter den Menschen immer schon Pessimisten und Optimisten gegeben. Will Jesus uns zu Optimisten machen? Nein, das will Jesus nicht. Jesus will uns Hoffnung geben. Hoffnung ist mehr als nur Optimismus. Aber es ist nicht leicht, beides voneinander zu unterscheiden. Also habe ich mich auf die Suche nach Definitionen gemacht.
Herausgefunden habe ich, dass sich schon einige Philosophen Gedanken über den Unterschied zwischen Optimismus und Hoffnung gemacht haben. Der Optimismus geht davon aus, dass irgendwie alles gut werden wird. Die Hoffnung hingegen schließt das Unverhoffte mit ein. Die Hoffnung scheint also eher mit Hilfe von außen zu rechnen. Woher diese Hilfe kommen könnte, bleibt allerdings offen.
Der biblische Hoffnungs-Begriff ist anders. Der Unterschied ist nicht nur, dass wir als Christen wissen können, auf wen wir hoffen. Ein wesentlicher Unterschied ist, dass wir die Hoffnung der Bibel lernen und trainieren können. Werfen wir doch hierzu einmal einen Blick in unsere Bibel!
Es gibt unterschiedliche Worte, mit denen Hoffnung ausgedrückt wird. Die Geschichten des Alten Testaments wurden in hebräischer Sprache aufgeschrieben. Das Wort tiqvah steht für Hoffnung und Erwartung. Das Wort tiqvah bezeichnet aber auch eine Schnur oder ein Seil. Bezeichnend ist die Geschichte, in welcher dieses Wort zum ersten Mal im Alten Testament vorkommt:
Das Volk Israel ist jahrelang in der Wüste herumgewandert. Inzwischen leitet Josua das Volk. Nun steht die Eroberung der Stadt Jericho kurz bevor. Josua sendet zwei Kundschafter in diese Stadt. Diese Kundschafter sehen sich alles an, und können sich dann bei einer Frau namens Rahab verstecken. Aber die Kundschafter wurden bemerkt, und sollen gefangen genommen werden. Rahab schafft es, den Suchtrupp in die Irre zu führen. In der Nacht können die Kundschafter über ein Seil fliehen, welches Rahab an der Stadtmauer herunter lässt. Dieses Seil wird mit dem Wort tiqvah bezeichnet. Aber bis jetzt ist dieses Seil für die Kundschafter zwar die Rettung, aber es ist noch keine Hoffnung.
Die Hoffnung kommt ins Spiel, bevor die Kundschafter fliehen. Denn es ist klar, dass Israel die Stadt Jericho erobern will. Die Frau Rahab hat den Kundschaftern geholfen. Die Kundschafter möchten diese Frau retten. Also treffen sie eine Abmachung. Wenn das Volk Israel sich anschickt, Jericho zu erobern, soll Rahab das Seil in ihr Fenster hängen. Das Seil wird damit zu einem Zeichen. Rahab und ihren Angehörigen soll nichts passieren. Das Seil ist Rahabs Hoffnung. So bedeutet das Wort tiqvah gleichzeitig Seil und Hoffnung. Das Seil ist die Hoffnung. Ich lese Euch die entscheidende Stelle aus der Geschichte vor:
17Die Männer sagten zu ihr: »Wir stellen dir noch eine Bedingung, damit der Schwur gilt, den du uns hast schwören lassen.18Wenn wir in das Land zurückkommen, musst du Folgendes tun: Befestige diese rote Schnur an dem Fenster, durch das du uns hinabgelassen hast. Dann nimm alle in dein Haus auf, deinen Vater, deine Mutter, deine Geschwister und wer sonst noch zur Familie gehört.19Wer dann noch durch die Haustür hinausgeht, ist selbst für seinen Tod verantwortlich. Wir haben daran keine Schuld. Wer jedoch bei dir im Haus bleibt, für den sind wir verantwortlich. Es wird ihm nichts geschehen.20Solltest du aber unsere Sache verraten, sind wir nicht mehr an den Schwur gebunden, den du uns hast schwören lassen.« (Josua 2,17-20)
Wir sehen hier, dass das Hoffnungszeichen in beide Richtungen wirkt. Für Rahab ist das Seil die Hoffnung, dass sie und ihre Familie beschützt werden. Für die beiden Kundschafter ist das Seil das Zeichen, dass sie ihrer Verantwortung nachkommen werden. Das Seil wird zur Garantie.
Ich denke, durch die Geschichte von Rahab wird deutlich, dass die biblische Hoffnung mehr ist als nur eine Ansichtssache. Hier geht es nicht um Optimismus. Für Rahab wurde das Seil zur Hoffnung. Sie hatte ein festes Versprechen, auf das sie bauen konnte. Das Seil war Teil dieses Versprechens, denn das Seil war das vereinbarte Erkennungszeichen. So bedeutet das hebräische Wort tiqvah gleichzeitig Seil und Hoffnung. Die Geschichte von Rahab verbindet beides miteinander.
“Eure Erlösung kommt bald!” Das ist die Hoffnung, von welcher Jesus hier redet. Und was ist das Seil, welches wir uns in unser Fenster knoten können, so wie Rahab es getan hat? Jesus sagt: “Meine Worte werden nicht vergehen.” Auf die Worte von Jesus können wir uns verlassen. Das ist unser Seil, unsere Hoffnung.
Jesus nutzt den Feigenbaum für einen Vergleich. Der Feigenbaum verliert im Winter seine Blätter. Dann, wenn der Sommer kommt, schlägt dieser Baum neu aus. Das kennen wir auch von anderen Bäumen. Wenn wir also sehen, dass diese Bäume Blätter bekommen, wissen wir: Der Frühling ist da, der Sommer wird kommen. Jedes Jahr sind es dieselben Zeichen, die uns die wärmeren Jahreszeiten ankündigen. Wir bekommen es nicht mit der Angst zu tun, wenn den Bäumen wieder Blätter wachsen. Denn wir sind daran gewöhnt. Wir kennen diese Zeichen.
Genauso, sagt Jesus, sind auch diese anderen Zeichen kein Grund zur Panik. Gemeint sind diese Zeichen an der Sonne, dem Mond und den Sternen. Was genau das für Zeichen sein werden, wissen wir nicht. Aber wenn wir solche Zeichen sehen, dürfen wir wissen: Das Reich Gottes ist nahe.
Nun ist das Lukas-Evangelium voll von Hinweisen auf das Reich Gottes. Als Jesus seine Jünger jeweils zu zweit aussendet, gibt Jesus ihnen folgende Botschaft mit: “Das Reich Gottes kommt euch jetzt nahe!” (Lukas 10,9) Ein Kapitel weiter weist Jesus auf den Umstand hin, dass er Dämonen austreibt, und sagt zu seinen Kritikern: “Wenn mir aber der Finger Gottes hilft, Dämonen auszutreiben, dann ist das Reich Gottes schon zu euch gekommen!” (Lukas 11,20) Im Lukas-Evangelium ist das Reich Gottes also keine rein zukünftige Größe. Das Reich Gottes ist in Bewegung. Es kommt zu den Menschen. Für manche Menschen ist das Reich Gottes sogar schon da. Menschen können schon jetzt “Reich-Gottes-Momente” erleben. Trotzdem ist das Reich Gottes nicht für alle sichtbar.
Deshalb habe ich den Eindruck, dass in unserem Text zwei Perspektiven nebeneinander existieren. Die eine Perspektive ist: Das Reich Gottes ist bereits angebrochen. Jesus ist ja bereits am Kreuz gestorben. Jesus ist wieder auferstanden, und in den Himmel aufgefahren. Das alles ist passiert, und die damalige Generation war noch am Leben. Dann gibt es die andere Perspektive, die auf Jesu zweites Kommen gerichtet ist: Der Menschensohn kommt auf einer Wolke mit großer Macht und Herrlichkeit. Das werden alle Menschen sehen können. Diese beiden Perspektiven stecken miteinander in unserem Text. Diese beiden Perspektiven sind nicht voneinander getrennt dargestellt, sondern sie gehen ineinander über.
Jesus zitiert hier übrigens den Propheten Daniel. Ich lese zwei Verse aus Daniel 7:
13In der nächtlichen Vision sah ich einen, der mit den Wolken des Himmels kam. Er sah aus wie ein Menschensohn. Er kam bis zu dem Hochbetagten und wurde vor ihn geführt.14Ihm wurden Macht, Ehre und Königsherrschaft gegeben. Die Menschen aller Völker, aller Nationen und aller Sprachen dienen ihm. Seine Macht ist eine ewige Macht, sein Königreich wird nicht zugrunde gehen. (Daniel 7,13-14)
Daniel sah in seiner Vision eine Person. Dieser Person gab Daniel die Bezeichnung “der Menschensohn”. Als Jesus von sich selbst als dem Menschensohn redet, bezieht sich Jesus damit auf diesen Text aus dem Buch Daniel. Das, was Daniel mehrere Hundert Jahre früher gesagt hat, bezieht Jesus nun auf sich. Jesus sagt: Dieser Menschensohn bin ich. Der Menschensohn wird kommen auf einer Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit. Daniel schreibt weiter: “Die Menschen aller Völker, aller Nationen und aller Sprachen dienen ihm.” Das ist etwas, was schon jetzt geschieht. Gottes Reich ist schon da, denn schon jetzt dienen Menschen aus vielen Nationen dem Menschensohn, nämlich Jesus Christus. Aber dass alle den Menschensohn auf einer Wolke kommen sehen, das ist noch nicht geschehen.
Das Reich Gottes ist in Bewegung. Es kommt, es ist nahe. Manches vom Reich Gottes können wir schon sehen. Und dann haben wir zwischendurch den Eindruck, die Welt, wie wir sie kennen, wird komplett aus ihrer Bahn geworfen. Ganz klar ruft Jesus uns dazu auf, dass wir keine Angst haben, sondern uns aufrichten sollen. “Eure Erlösung kommt bald!”, sagt Jesus. Wir haben eine begründete Hoffnung, denn wir haben Jesu Versprechen: “Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.” Das ist unser tiqvah, unsere Hoffnung, die gleichzeitig ein Seil ist, welches uns mit Jesus verbindet.
So bleibt uns eigentlich nur, die Bibel und die Zeitung nebeneinander zu lesen. Manche Nachrichten könnten uns Angst machen. Unsere Welt droht, aus den Fugen zu geraten. Wir wissen nicht, was uns die Zukunft bringt. Doch für Jesus sind solche Nachrichten vergleichbar mit Blättern, welche uns den Sommer ankündigen. Jesu Zusagen geben uns begründete Hoffnung. Am Ende wissen wir eben doch, was kommt, weil wir Jesu feste Zusage als Hoffnung haben: “Eure Erlösung kommt bald. Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.” Diese Hoffnung können wir uns wie ein stabiles Seil vorstellen, welches uns Halt gibt.
Martin Pusch – Predigt gehalten am 7. Dezember 2025.